Etwa 2.2 km östlich des Legionslagers Vindonissa, nahe beim Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat, ist auf einem noch weitgehend unbebauten Areal von Gebenstorf-Vogelsang mit dem Flurnamen «Steinacher» eine Grossüberbauung mit Tiefgarage geplant. Aus diesem Gebiet zwischen Limmat und der Hochterrasse des «Gehling» liegen seit der Mitte des 19. Jh. diverse Meldungen zu römischen Funden vor. Beim Strassenbau wurden 1980 gut erhaltene römische Mauerbefunde ohne eingehende wissenschaftliche Dokumentation mit schweren Maschinen zerstört. Sondagen der Kantonsarchäologie Aargau erbrachten zwischen 2019 und 2021 weitere römische Befunde, deren Qualität und Dimensionen auf Grossbauten hindeuteten.
Vorgängig zur geplanten Überbauung der Parzellen Nr. 139, 1545 und 1589 begann im April 2024 eine mit Sonderkredit finanzierte Grossgrabung, die bis Mai 2025 andauern wird. Dabei sind fast 4'000 m2 bis auf den anstehenden Boden zu untersuchen.
Da die Grabung im Moment der Berichterstattung noch läuft, sei an dieser Stelle vorerst nur eine kurze Übersicht geboten. Schon jetzt übertrifft der freigelegte Befund alle Erwartungen (Abb. 1-3): Unter dem zuletzt als Wiesland genutzten Gelände liegen mächtige Fundamente mehrerer römischer Grossbauten, darunter ein mindestens 35 m langer und im Lichten 14.3 m breiter Hallenbau mit quadratischen Innenpfeilern, ein ebenso langer und 10.2 m breiter Steinkeller sowie, ganz im Osten, ein weiterer Baukomplex, dessen Aussenwände durch Lisenen gegliedert sind. Stellenweise sind die zumeist in offener Baugrube erstellten, aus Geröllen gesetzten und vielfach mit Fugenstrich versehenen Fundamente bis zu 2 m hoch erhalten. Zugehörige Laufniveaus sind nur an wenigen Stellen vorhanden. Hingegen konnten mehrfach Bauhorizonte mit Kalkmörtelflächen oder ausplanierten Steinabschlägen erfasst werden. Das ursprünglich stark reliefierte Terrain an einem nach Norden zur Limmat hin abfallenden Hang wurde vor Erstellung der römischen Grossbauten offenbar tiefgreifend umgestaltet, ausplaniert und nivelliert. Von einer ersten Bauphase haben sich gut erhaltene Reste flächig verputzter Lehmwände und eines Mörtelbodens erhalten. Spätkeltische Siedlungsspuren fehlen bislang ebenso wie Befunde und Funde der mittleren und späten Kaiserzeit.
Im Fundmaterial, das vorwiegend aus den erwähnten massiven Bauplanien stammt, dominieren in aussergewöhnlicher Art und Weise grossteilig zerscherbte bzw. fast ganz erhaltene Amphoren eines frühkaiserzeitlichen Typenspektrums. Die deutlich weniger häufig angetroffene Sigillata gehört ganz überwiegend in einen claudisch-flavischen Zeitrahmen. Kochkeramik ist nur mit wenigen Stücken vertreten, Tierknochen fehlen fast völlig. Derzeit knapp 100 Fundmünzen datieren zu einem Grossteil in das 1. Jh. n. Chr., bei den Kleinfunden erwähnenswert sind ferner einige Militaria, Schreibgriffel, Siegelkapseln und Gewichte.
Eine schlüssige Interpretation dieser erstmals in ihrer ganzen Dimension erfassten Siedlungsstelle mit einer Mindestausdehnung von ca. 100 x 50 m ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich. Der Platz lag auf einem hochwassersicheren Kiesplateau ca. 5 m über dem mittleren Pegel der unmittelbar nördlich entlangfliessenden Limmat. Der ungewöhnliche Aufwand beim Einrichten des Bauplatzes, die planmässige, orthogonal ausgerichtete Grossbau-Architektur, das spezifische Fundspektrum des 1. Jh. und die Lage in der Grenzzone extra leugam des Legionslagers Vindonissa lassen an eine staatliche, wohl vom Militär unterstützte Baumassnahme denken. Mit diesem Platz, der gewissermassen am Ende eines von der Natur vorgezeichneten Verkehrswegs lag, der von Oberitalien via Bündner Pässe, Walensee, Zürichsee und Limmat an die Aare führte, fassen wir möglicherweise einen zentralen, eng mit dem Legionslager Vindonissa verbundenen Umschlagplatz.