LK 1075, 746 285/254 420. Höhe 672 m.
Datum der Grabung: 11.8.-7.10.2010 und 10.-18.11.2010.
Bibliografie zur Fundstelle: JbAS 93, 2010, 283f.; St. Galler Tagblatt 9.9.2010 und 30.9.2010.
Geplante Notgrabungen und Baubegleitung (Bau Unterflur-Abfallbehälter, Leitungsgräben, Neugestaltung südliche Altstadt). Grabung: 42 m², Baubegleitung: ca. 30 Laufmeter Leitungsgräben. Stadt. Kloster?

Die Grabungsstelle liegt zwischen der Kreuzung Turmgasse/Kugelgasse und der Einmündung der Kugel- in die Zeughausgasse direkt östlich der St. Laurenzenkirche. 2009 wurde auf der Kreuzung Zeughausgasse ein frühmittelalterlicher Kalkbrennofen dokumentiert. Der Bau eines Unterflur-Abfallbehälters gab Anlass für eine geplante Grabung im unmittelbar angrenzenden Bereich. Hier kam das Teilstück einer Straße zutage. Ihr Koffer bestand aus einem Unterbau aus sorgfältig verlegten Geröllen. Darüber lag eine Verschleißschicht aus Kies.
Die Straße entstand spätestens im 9./10.Jh. (C14). Vier Phasen von Geröll- und Kiesschüttungen belegen eine Benutzung bis ins 11./12.Jh. (typologisch, C14). Die Straße hatte im ältesten Bauzustand eine Breite von 2.8 m. Als Folge unsorgfältiger Erneuerungen verschoben sich die jüngeren Straßenkoffer nach Westen; eine klare Bestimmung der Fahrbahnbreite ist daher nicht möglich. Bereits im späten Hochmittelalter war die Straße aufgelassen und wurde von diversen Pfostengruben, Gräben und Gruben unbestimmter Funktion durchschlagen. Als jüngste Strukturen zeugen der unterste Rest einer ausgeräumten Mauergrube sowie eine Kulturschicht mit Brandschutt von einer Bebauung des Areals im 13.Jh.
Sämtliche jüngeren Schichten wurden bereits in der 2. Hälfte des 20.Jh. entfernt, wie fast überall in der St. Galler Altstadt. Unter anderem gelang an der Kugelgasse zudem der Nachweis von Pflugspuren aus dem Frühmittelalter, ein Beleg für Ackerbau im nahen Umfeld der Eremitensiedlung oder des frühesten Klosters (C14). Insbesondere die ältesten Fundhorizonte, bei welchen unklar bleibt, ob sie innerhalb oder außerhalb der damals überbauten Zone abgelagert worden waren, erwiesen sich als überaus reich an Tierknochen (Speise- und Schlachtabfälle). Sehr selten sind in den ältesten Horizonten Keramikscherben, häufiger sind Fragmente von Lavezgefäßen.
Hervorzuheben sind Scherben von Trinkgläsern aus Schichten der Karolingerzeit, darunter Stücke mit purpurfarbenen Schleiern im farblosen Glas. Auch fanden sich kleinste, allseitig zugerichtete Scheibchen von grünem und farblosem Flachglas, welche möglicherweise als verlorene Verzierungen von Kultusgerät zu deuten sind. Herausragend ist der Fund einer eisernen Dornpfeilspitze aus einer Schicht des 9./10.Jh. (Abb. 37). Dieser Waffentyp stammt aus Südosteuropa. Handelt es sich um das erste archäologische Zeugnis für den Ungarnüberfall von 926 auf das Kloster St. Gallen, den die zeitgenössischen Quellen ausführlich beschreiben?
An der Kugelgasse konnte erstmals eine Feingrabung in den nahezu schwarzen und zu Unrecht befundlos geltenden, früh- bis hochmittelalterlichen Kulturschichten durchgeführt werden. Unter kontrollierten Bedingungen ließen sich Strukturen im kaum differenzierbaren Sediment erkennen. Diese Befundverhältnisse finden sich in sämtlichen Gassen der südlichen Altstadt wieder: Seit Projektbeginn Neugestaltung südliche Altstadt 2008 haben die neu erstellten Leitungsgräben auf einer Gesamtlänge von rund 3 km die nun untersuchten Schichten aus der Frühzeit von Kloster und Stadt stets durchschlagen. Davon betrafen rund 70% zuvor unberührte Schichten. Mit wenigen Ausnahmen war nur eine Dokumentation der Leitungsgrabenprofile möglich, was für eine differenzierte Beurteilung der Siedlungsgeschichte nicht ausreicht. Die Erkenntnisse der Grabung an der Kugelgasse werden jedoch helfen, künftige Bauprojekte bei zu erwartenden vergleichbaren Befundverhältnissen vorgängig besser einzuschätzen.

Probenentnahmen: Sedimentproben für geoarchäologische und archäobotanische Untersuchungen, Proben von verkohltem Material für C14-Datierung.
Datierung: archäologisch; C14. Früh- und Hochmittelalter.
KA SG, E. Rigert, I. Ebneter, S. Lo Russo und M.P. Schindler.