Ein Bauprojekt sieht die Überbauung von zwei grossen, bisher unbebauten Parzellen in Kaiseraugst mit drei Mehrfamilienhäusern mit gemeinsamer Einstellhalle und Untergeschoss vor. Bezogen auf die antike Topographie liegen die Grundstücke in der sogenannten Nordwestunterstadt von Augusta Raurica. Im Norden der einen Parzelle befinden sich zudem spätantike Bestattungen, die zum Kaiseraugster Gräberfeld «Höll» gehören.

Im Hinblick auf das bevorstehende Bauprojekt wurden die Parzellen 2019 geophysikalisch prospektiert und 2021 und 2023 sondiert. Dank dieser Ergebnisse konnte die Notgrabung geplant, budgetiert und ein Verpflichtungskredit zur Finanzierung beim Kanton Aargau beantragt werden. Dank dem Entgegenkommen der Bauherrschaft war es zudem möglich, die projektierte Baugrube aufgrund der Sondierungsergebnisse so anzupassen, dass die spätrömischen Bestattungen im Norden erhalten bleiben. Die archäologischen Ausgrabungen erstreckten sich über den Zeitraum von Mai 2024 bis März 2025 und konnten sowohl im Zeit- als auch im Kostenrahmen erfolgreich abgeschlossen werden. Innerhalb der Grabungsfläche wurde ein Ausschnitt der Ärztestrasse mit der beidseitig angrenzenden Bebauung und den dazugehörigen Hinterhöfen erfasst. Die grossflächige Ausgrabung ermöglichte wertvolle Einblicke in die städtebauliche Struktur und Parzellierung dieses Quartiers.

Die Ärztestrasse wurde hier mehrfach aufgekoffert und der jüngste, 3.8 m breite Strassenkoffer wurde beidseitig von Strassengräben und Portiken flankiert. Ein grosses Gebäude mit Steinkeller konnte vollständig, ein weiteres mit Keller teilweise freigelegt werden. Vor allem die in den Boden eingetieften Strukturen waren gut erhalten und lieferten zum Teil zahlreiche Funde. Überraschenderweise konnten auf den Parzellen zwischen den beiden Gebäuden zwei Pfostenbauten nachgewiesen werden. Aufgrund des langrechteckigen Grundrisses, der inneren Gliederung und der Hinterhöfe sind sämtliche Bauten als Streifenhäuser zu interpretieren. Die Hinterhöfe waren zum Teil mit handwerklichen Einrichtungen ausgestattet. An den rückwärtigen Grundstücksgrenzen konnten mehrere Schächte aus Trockenmauerwerk und Gruben freigelegt werden. Die Funktion dieser Schächte, z.B. als Latrinen oder Vorratsschächte, muss noch näher untersucht werden. Darüber hinaus konnten sowohl in den Gebäuden als auch in den Hinterhöfen mehrere Säuglingsbestattungen freigelegt und dokumentiert werden, die Hinweise auf die Totenfürsorge und die hohe Säuglingssterblichkeit in dieser Zeit geben. Die Bebauung setzt hier am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. ein und endet im Laufe des 3. Die spätantike Nutzung des ausgegrabenen Areals wird vor allem durch zahlreiche spätrömische Münzen und Einzelbefunde belegt.

Unter den zahlreichen Funden sind unter anderem eine Pantherstatuette aus Bronze, ein Weihaltar aus Tuffstein und ein Spinnwirtel aus Mosaikglas hervorzuheben.

Erwähnenswert ist, dass es sich bei dieser Ausgrabung um die erste rein digital dokumentierte Ausgrabung in Augusta Raurica handelt. Alle Befunde wurden im Feld digital gezeichnet und sämtliche Daten direkt in die Datenbank eingegeben. Diese innovative Methode ermöglichte eine äusserst präzise und effiziente Dokumentation, die auch interkantonal neue Massstäbe für zukünftige Projekte setzt.