LK 1075, 2746 145/1 254 600. Höhe 667.9m.
Datum der Ausgrabung: 23.10.-7.12.2023.
Bibliografie zur Fundstelle: v. Fels, H. R. (1934) Nachrichten, Kanton St. Gallen. ASA NF 36, 217; JbAS 94, 2011, 285; 97, 2014, 284; 105, 2022, 314f. Rigert, E./Schindler, M. P. (2012) Archäologie im Stiftsbezirk und südlicher Altstadt - Der Befund. In: J. M. Dare (Hrsg.) Von Gallus bis zur Glasfaser, Archäologie in Stiftsbezirk und Altstadt St. Gallen. 152. Neujahrsblatt des Historischen Vereins des Kantons St. Gallen, 23-44, bes. 41f. St. Gallen. Rigert, E./Ebneter, I. (2012) St. Gallen - Latrinen als Fundgruben. In: J. M. Dare (Hrsg.) Von Gallus bis zur Glasfaser, Archäologie in Stiftsbezirk und Altstadt St. Gallen. 152. Neujahrsblatt des Historischen Vereins des Kantons St. Gallen, 85-96. St. Gallen. Schindler, M. P. (2021) Die Plätze in der Stadt St. Gallen. In: C. Jäggi/A. Rumo/S. Sommerer (Hrsg.) Platz da! Genese und Materialität des öffentlichen Platzes in der mittelalterlichen Stadt. Schweiz. Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters Bd. 49, 85-90. Basel.
Geplante Grabung (Ausbau Fernwärmenetz).
Grösse der Grabung ca. 99 Laufmeter, ca. 129 m².
Stadt.

Der Ausbau des Fernwärmenetzes bedingt einen Leitungsgraben quer über den Marktplatz/Bohl. Das Bauvorhaben liegt in einem stadtgeschichtlich und archäologisch äußerst wertvollen Bereich, denn hier treffen die bestehende Altstadt und die im 15. Jh. befestigte nördliche Altstadt aufeinander. Die diesjährige Bauetappe konzentrierte sich auf die Grabenabschnitte beim Marktplatz. Zu den stratigrafisch ältesten Befunden gehören fünf geostete, beigabenlose Körperbestattungen (Abb. 91).

C14-Analysen von vier Gräbern (Grab 3 muss nachdatiert werden) ergaben Daten vom späten 7. bis ins 9. Jahrhundert. Die Datierung ins Frühmittelalter ist sensationell, zeigt sie doch die weite Ausdehnung gegen Norden des vom Kloster St. Gallen beanspruchten Areals. Die Entdeckung von Gräbern ist für die archäologische Forschung und die Stadtgeschichte zudem eine große Neuigkeit, zwischen dem Klosterareal und St. Mangen waren bislang keine Bestattungen aktenkundig (Rigert/Schindler 2012).

Der Bericht zu den archäologischen Beobachtungen anlässlich des 1933 erfolgten Baus von Bank- und Restaurantgebäude (Marktplatz 1 und 2) erwähnt nur die Reste des 1877 abgebrochenen Rathauses und weitere Befunde (u. a. Latrinen), aber keine Gräber. Dass dies zu relativieren ist, zeigt die mündliche Überlieferung der Familie von Archäologie-Kuratorin Rebecca Nobel MA. Ihr Großvater Eugen Nobel (1910-1998) arbeitete zusammen mit seinem Vater Johann Nobel in den 1930er-Jahren auf der Baustelle Marktplatz 1 und 2. Dabei seien sie auf Skelette gestoßen, die man damals als Überreste eines Pestfriedhofs angesprochen habe. Die Knochen seien aber rasch beiseite geräumt und entsorgt worden. Die aktuellen Grabfunde bestätigen diese Geschichte. Erstaunlich ist, dass keinerlei Überlieferung zu den Gräbern vorhanden war (wie z.B. bei der Johanneskapelle beim Stadthaus), obwohl man wohl hin und wieder bei Bauarbeiten auf menschliche Knochen gestoßen sein musste. In der näheren Umgebung ist auch kein Kapellen- oder Kirchenstandort bekannt. Eine vertiefte Diskussion wird erst nach Vorliegen der C14-Daten möglich sein.

Im Fernwärmegraben konnten mehrere Mauerfragmente dokumentiert werden. Diese waren deutlich jünger als die Bestattungen, wurden sie doch stellenweise direkt über den menschlichen Überresten errichtet. Bei einigen Mauern dürfte es sich aufgrund von Aufbau und Lage um Reste des alten Rathauses und des Kornhauses gehandelt haben. Beide Gebäude wurden im 15./16. Jh. erbaut bzw. ausgebaut und im 19. Jh. abgebrochen. Zu den jüngsten Befunden gehören zwei neuzeitliche Sandsteinkanäle, wovon der größere im Stadtplan von 1863 eingezeichnet ist. Dieser Ost-West orientierte Kanal wies eine Breite von mind. 2 m auf und konnte auf einer Länge von 5 m gefasst werden. Das Lichtmaß betrug 1 x mind. 1.7 m, wobei die Kanalsohle nicht gefasst wurde. Die Wände bestanden aus vermörtelten Bruchsteinen, die mit rohen Sandsteinbruchquadern (wohl „Rorschacher Sandstein“) verkleidet waren. Ihre Oberfläche wurde bahnengespitzt und dann mit der Zahnfläche, dem Krönel und mit relativ groben Zahneisen weiterbearbeitet bzw. ausgeebnet (Angaben Steinmetz Christoph Holenstein, St. Gallen). Als Abdeckung dienten große Sandsteinplatten (2 x 1.2 m). Im Kanalinneren wurden im Rahmen jüngerer Baumaßnahmen eine Betonröhre und zahlreiche Zuleitungen installiert.

In der Baugrube des bestehenden Gebäudes Marktplatz 1 konnte auf 3.2 m ein zweiter, deutlich kleinerer Ost-West orientierter Sandsteinkanal (30 x 40 cm) gefasst werden. Die Abdeck- sowie die Bodenplatten waren beidseitig gefalzt, sodass die Kanalwandungen darin platziert werden konnten.

Archäologische Funde: Gefäss- und Baukeramik, Hüttenlehm, Glas, Eisen, Buntmetall.
Anthropologisches Material: Körperbestattungen.
Faunistisches Material: Knochen (unbearbeitet).
Probenentnahmen: C14, Dendrochronologie, Mörtel, Mikromorphologie, Sediment.
Datierung: archäologisch; historisch. Mittelalter; Neuzeit.
C14-Daten: Grab 1: ETH-139650, 1212 22 BP, 709-721 und 772-885 AD, cal. 2 sigma. Grab 2: ETH-139651, 1225 ± 22 BP, 703-739 und 772-883 AD, cal. 2 sigma. Grab 4: ETH-139653, 1212 ± 22 BP, 709-721 und 772-885 AD, cal. 2 sigma. Grab 5: ETH-139654, 1234 ± 22 BP, 687-743 und 772-880 AD, cal. 2 sigma.
KA SG, M.-J. Fahrni, N. Oertle und M. P. Schindler.