Datum der Prospektionen: 28.6.-27.7.2008 und 21.6.-19.7.2009.
Neue Fundstellen.
Bibliographie: L. Stauffer-Isenring, Die Siedlungsreste von Scuol Munt Baselgia. Antiqua 9. Basel 1983. Archäologische Prospektion.

Im Jahr 2007 hat die Abteilung Ur- und Frühgeschichte der Universität Zürich ein mehrjähriges interdisziplinäres Forschungsprojekt «Rückwege» im Silvrettagebirge begonnen. Hauptanliegen der Arbeiten ist, ausgehend von der prähistorischen Kulturlandschaft im Unterengadin (Stauffer-Isenring 1983), die alpinen Nutzungsgebiete der bronze- und eisenzeitlichen Siedlungen in den nord-süd-verlaufenden Hochtälern ab 2000 m ü.M. beidseits der Grenze eingehender zu untersuchen. Mehrwöchige Survey-Kampagnen im Verbund mit vegetations- und klimageschichtlichen Forschungen haben eine erstaunlich hohe Dichte und Qualität an hochalpinen Fundstellen geliefert, die ein völlig neues Bild einer weitgehend unerforschten «Region am Rande» zeichnen.
Die derzeit ältesten menschlichen Spuren in der Silvretta haben mesolithische Jäger im Val Tuoi (Guarda GR), unweit des Vermuntpasses (2800 m), in Form von Feuerstellen und Steingeräten aus dem 7. Jtsd. unter einem markanten Felsabri hinterlassen. Eine mittelneolithische Feuerstelle auf einer Kuppe im hinteren Fimbergtal (Sent GR; 2200 m) aus der Zeit um 4800 v. Chr. lässt sich möglicherweise mit zeitgleichen Rodungsmaßnahmen im Umfeld der Fundstelle Mottata oberhalb von Ramosch und einer ersten neolithischen «Landnahme» im klimatisch bevorzugten Unterengadin verbinden. Weitere Fundstellen des 5. und 4. Jtsd. - hervorzuheben ist hier eine kupferzeitliche Feuerstelle im Jamtal (Galtür A) aus der Zeit um 3300 v. Chr. - belegen eine wiederholte Begehung der Bergregion während des Neolithikums, wenn auch deren Hintergrund bislang unklar bleiben muss.
Besser mit den Dauersiedlungen verbinden lassen sich die bronzezeitlichen Befunde in beinahe allen untersuchten Tälern auch jenseits der vergletscherten Pässe, die gut mit dem intensiven alpinen Siedlungsausbau im 2. Jtsd. korrelieren. Seit 2009 ist hier das Gebiet Plan da Mattun in Val Urschai (Ftan GR; 2300 m) unterhalb des Futschölpasses hervorzuheben, wo verschiedene Lagerplätze - unter hausgroßen Blöcken eines wohl spätglazialen Felssturzes - mit Feuerstellen sowie prähistorischer Keramik, Bronze- und Steinartefakten und Tierknochen eine Nutzung des Areals über den Verlauf von mehreren Jahrtausenden bis in die Moderne zeigen.
Für die Eisenzeit konnten zudem erstmalig eindeutige, wenn auch zunächst unscheinbare archäologische Überreste alpwirtschaftlicher Architektur nachgewiesen werden (Abb. 14). Im Val Tasna, im alpinen Einzugsgebiet der Siedlung von Ardez-Suotchastè (und Ftan-Umbrain), ist es gelungen, einen Viehpferch aus der Jüngeren Eisenzeit mit Aktivitätszonen von Hirten (Feuerstellen, Keramik; Hütte?) auf ca. 2100 m ü.M. zu dokumentieren. Und nur unweit der mittelneolithischen Fundstelle im Fimbergtal wurde mit der Freilegung eines Steinkranzes begonnen, der den Unterbau einer eisenzeitlichen Blockhütte bildet. Die bis in heutige Zeit dauernde Nutzung der Alpweiden von Ramosch und Sent aus über den Alpenhauptkamm hinweg scheint also mindestens ins 1. Jtsd. v. Chr. zurückzureichen, was auch die vielen vorrömischen Flurnamen (Fimba/Fenga/Id) bezeugen.
Die jüngsten Befunde schließlich sind mit der mittelalterlichen Kolonisation des obersten Paznaun durch die Walser zu verbinden: sie enden dort, wo die Schriftquellen von den ersten Menschen in der Silvretta berichten. Allen MitarbeiterInnen - speziell den Studierenden der Universitäten Zürich und Innsbruck - sowie unseren Partnern sei für ihre großartige Unterstützung an dieser Stelle herzlich gedankt.

Probenentnahme: Holzkohle für C14-Datierung; Sedimentproben; Dendroproben.
Datierungen: archäologisch; C14. Mesolithikum; Mittel- und Jungneolithikum, Kupferzeit; Bronzezeit; Eisenzeit; Römische Epoche; Mittelalter. Universität Zürich, Abt. Ur- und Frühgeschichte, Th. Reitmaier.