LK 1091, 683 203/247 523. Höhe 426 m.
Datum der Grabung: September/Oktober 2002.
Bibliographie zur Fundstelle: E. Vogt, Der Lindenhof in Zürich. Zürich 1948; D. Wild, Mittelalterliche Stadtplanung im Rennwegquartier. Ein Vorbericht zu den archäologischen Untersuchungen von 1997 bis 1999. Zürcher Denkmalpflege 1997/98, 47-60; Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich. Neue Ausgabe Band 1. Die Stadt Zürich I, 14-32. Basel 1999.
Geplante Notgrabung (statische Untersuchungen an den Stützmauern). Größe der Grabung insgesamt ca. 15 m². Siedlung.

1937/38 hat Emil Vogt das Plateau des Lindenhofs systematisch untersucht. 2002 wurde an insgesamt fünf Stellen der Bereich außerhalb von dessen Stützmauern sondiert. Die Schnitte konnten dabei in Absprache mit den Ingenieuren so gelegt werden, dass sie jeweils einen Schnitt von Vogt verlängerten.

Die Sondierung (Abb. 11) auf einer kleinen, dem Lindenhof im Nordwesten vorgelagerten Terrasse erwies sich als besonders informativ. Diese kleine Terrasse wird durch eine 2,4 m hohe obere Stützmauer vom Lindenhof und eine mehr als 3 m hohe untere Stützmauer von der Fortunagasse getrennt. Sie ist etwa 34 m lang und bis 10 m breit und weist eine dreieckige Form auf. Die obere Stützmauer, die eigentliche Lindenhof-Terrassenmauer, ist in diesem Abschnitt im 15. Jh. von der Flucht des ehemaligen Kastells gegen Norden verschoben worden. Ihre Außenseite stellt eine Verblendung des 18. oder 19. Jh. dar. Im Fundament sind zwei Reihen Lesesteine der ursprünglichen Mauerschale sichtbar. Darunter fanden sich zwei Steinlagen einer etwas anders orientierten Mauer. Es handelt sich dabei um die Nordbegrenzung jenes kleinen, kaiserzeitlichen Gebäudes, dessen drei anderen Seiten Vogt auf dem Lindenhof selber gefasst hatte. Das römische Mauergeviert lässt sich nun mit Außenmaßen von rund 8 × 9 m rekonstruieren.

Die untere Stützmauern (und eine nachgewiesene Vorgängerin) ersetzte hier eine Böschung, die im Winkel von etwa 40° von der Fortunagasse zum Lindenhof anstieg. Seit den Ausgrabungen der Jahre 1997-99 im Rennwegquartier ist bekannt, dass in der Fortunagasse ein Stadtgraben des 10./11. Jh. n. Chr. liegt, der spätestens um 1300 aufgegeben und verfüllt wurde. Die nachgewiesene Böschung stellte dessen Flanke dar.

Die Grabenflanke erreicht rund 4,5 m vor der heutigen Stützmauer und etwa 5,5-6 m vor dem ehemaligen Kastell das flach geneigte Terrain der Hügelkuppe. Diese Zone war also die "Berme" vor dem Kastell respektive der späteren Terrassenmauer. Die weiteren Befunde sind alle hier gemacht worden: Überdeckt von einer 50-80 cm dicken Humusschicht und einer etwa 30 cm dicken "Mischschicht" folgt unmittelbar die Moräne (C-Horizont). Das bedeutet, dass hier der B-Horizont und somit wohl mindestens 1 m bis zur ursprünglichen Terrainoberfläche fehlen. In die Moräne eingetieft fanden sich die Reste mehrerer, mit dunkler Erde verfüllter "Flecken", ehemals wohl Gruben, die heute in Größe und Form nicht mehr zu rekonstruieren sind. Direkt vor diesen Gruben und rund 1 m vor dem Ansatz der Flanke des Stadtgrabens in der Fortunagasse zeigte sich ein zwischen 55 und 70 cm breiter und 70-75 cm tiefer Graben mit senkrechten Flanken und recht flachem Boden, der wegen seiner regelmäßigen Form wie in die Moräne abgestochen wirkt. Da hier wohl noch der gesamte A- und B-Horizont des Bodens fehlen, könnte der Graben ursprünglich die beachtliche Tiefe von bis zu 1,5 m aufgewiesen haben. Sein Verlauf entsprach sehr genau jenem des nahen römischen Gebäudes, aber auch ungefähr jenem der römischen Kastellmauer und des Grabens in der Fortunagasse. Im oberen Bereich der Verfüllung, entlang der heutigen Grabenkante, fanden sich eine Anzahl größerer, gerundeter Lesesteine, die mit der Schmalseite gegen die Grabenmitte gerichtet waren und wohl als Keilsteine dienten. Es könnte sich hier um den Unterbau einer Palisade handeln.

Das Fundmaterial der beiden Gruben wie auch des Grabens mit Keilsteinen datiert ins 1. Jh. v. Chr. Es entspricht jenem vom oberen Rennweg, im Innern und im Umfeld des Hotels Widder, wo man spätlatènezeitliche Ensembles (LT D2) geborgen hatte. Leider handelt es sich bei den Objekten vom Lindenhof nur um einige wenige Keramikfragmente. Es müsste auch eine Datierung in frühaugusteische Zeit in Erwägung gezogen werden, wenn man nicht die gut vergleichbaren Funde vom Widder hätte. Leitform und chronologisch am empfindlichsten sind mehrere Fragmente einer Amphore Dressel 1B, die in der Verfüllung des Grabens steckten. Wie am oberen Rennweg fehlt Terra Sigillata. Vorhanden sind handgemachte Topf- und Napfscherben sowie einige Feinkeramikscherben. Die Funde sprechen für eine Datierung der oben geschilderten Befunde in die Spätlatènezeit. Der Erhaltungszustand der Scherben ist gut, so dass eine sekundäre Umlagerung im Mittelalter nicht nahe liegt. Damit hat man zum ersten Mal in der Nähe der Lindenhof-Kuppe Siedlungsspuren dokumentieren können, die wohl in vorrömische Zeit gehören. Allerdings ist nicht ganz auszuschließen, dass insbesondere der Graben mit Keilsteinen aus jüngerer Zeit stammt und zum Beispiel Teil einer Palisade jener Befestigung war, deren Gräben in der Fortuna- und Kuttelgasse sowie im oberen Rennweg gefunden wurden und die ins 10.-12. Jh. n. Chr. datieren.

Probenentnahmen: organische Proben für die C14-Messung.
Datierung: archäologisch. Spätlatènezeit; Römische Zeit; Mittelalter.
Stadtarchäologie Zürich, D. Wild und M. Balmer.