LK 1195, 2753 470/1 189 327. Höhe 609 m. Datum der Bauuntersuchung und Grabung: 1.-16.2.2021, 28.2.-10.3.2022. Bibliografie zur Fundstelle: Poeschel, E. (1940), Die Kunstdenkmäler des Kantons Graubünden, Bd. 3, 14-30. Basel; Sele, R./Vitoriano, B./Walser, C./Reitmaier, T. (2020) Domat/Ems, Kirche Sogn Gion (Tuma Turera). Archäologie Graubünden 4, 230-233. Chur; JbAS 103, 2020, 145-146. Geplante Bauuntersuchung (Restaurierung/Sanierung) und Notgrabung. Grösse des Untersuchungsperimeters (Kirchenanlage) ca. 1500 m². Kirche. Gräber.

Die Kirche Sogn Gion Battista (Johannes der Täufer) erhebt sich am nördlichen Dorfrand von Domat/Ems auf der sog. Tuma Turrera, einem markanten Hügel, dessen Genese auf den frühholozänen Flimser Bergsturz zurückgeht. Sie besteht aus einem geosteten, erhöhten Chor und einem einschiffigen Langhaus, dem im Westen ein mächtiger Kirchturm angesetzt ist. Sakristei, Vorhalle, Kapelle und Beinhaus komplettieren die mehrgliedrige Anlage, die aktuell einer Gesamtrestaurierung unterzogen wird. 2021/22 standen insbesondere der Kirchturm und das Kircheninnere im Fokus der archäologischen Untersuchungen.

Die Kirche Sogn Gion wird erstmals in einer Quelle aus dem 12. Jh. genannt. Chor und Schiff der heutigen Anlage gehen indes auf eine spätgotische Erneuerung im frühen 16. Jh. zurück - vom aufgehenden romanischen Mauerwerk ist einzig die durch Lisenen und Blendarkaden gegliederte Ostwand des Schiffes erhalten. Auch der Kirchturm wurde in der Literatur zumeist ins 12. Jh. eingeordnet, wobei es sich primär um einen Wehrturm gehandelt haben soll. Zwar ist der Turm sicher älter als der spätgotische Kirchenneubau: So ist an seiner Ostfassade - vom Dachraum des Schiffes aus - eine giebelförmige Abdeckung aus vorkragenden Steinplatten zu sehen, die einst den Ansatz des romanischen Dachs überdeckte. Die Bausubstanz lässt jedoch weder eine Datierung ins 12. Jh. noch einen primär fortifikatorischen Zweck annehmen: Das unregelmässige Mauerwerk ist nicht streng lagig und romanische Architektur- und Gestaltungselemente fehlen.

Zwei Holzreste aus Gerüsthebellöchern im 2. Obergeschoss des Turms wurden mittels der Radiokarbonmethode in einen Zeitraum vom 15. bis 17. Jh. datiert. Die dendrochronologische Untersuchung von vier Balken im Unterzug des Glockenstuhls (3. Obergeschoss) sowie eines Schrägbalkens des Glockenstuhls (4. Obergeschoss) macht eine Errichtung im dritten Viertel des 15. Jh. plausibel, zumal bis auf Höhe des Glockenstuhls keine Hinweise auf eine sekundäre Aufstockung vorliegen.

Im Schiff und im zu diesem hin geöffneten Turmerdgeschoss wurden eine Georadarmessung und Sondierungen durchgeführt. Mitunter nur wenig unter dem aktuellen Bodenniveau wurden mehrere, sich zum Teil überlagernde Gräber entdeckt, deren Gruben in das anstehende Bergsturzmaterial eintiefen. Bemerkenswert ist ein Grab am Übergang vom Turm zum Schiff, das eindeutig unter einen Mauerrest der romanischen Kirche zieht (Abb. 64). Diese Bestattung sowie eine weitere, welche aus dem nordwestlichen Teil des Schiffes stammt, wurden mittels der Radiokarbonmethode ins späte 9. bis frühe 11. Jh. datiert. Damit liegen erstmals stichhaltige Hinweise auf eine vorromanische Kirche auf der Tuma Turrera vor. Bereits in den 1940er-Jahren wurde anlässlich einer Restaurierung festgestellt, dass das romanische Schiff etwa um eine Mauerstärke schmaler war als das gotische. Die aktuelle Untersuchung hat überdies gezeigt, dass das romanische Bodenniveau deutlich höher lag. Im Zuge des gotischen Neubaus wurde die Hügelkuppe (weiter) abgeplattet, wobei auch grössere Teile der romanischen Fundamente entfernt wurden. Insofern ist es unwahrscheinlich, dass sich von der vorromanischen Kirche überhaupt bauliche Spuren erhalten haben.

Anthropologisches Material: Überreste von mehreren Körperbestattungen. Faunistisches Material: Tierknochen. Probenentnahmen: C14, Dendroproben, Mörtelproben. Datierung: archäologisch, Mittelalter; Neuzeit; C14: Spätmittelalter (Holz: BE-15664.1.1: 411 ± 31 BP, 1432-1621 AD, cal. 2 sigma; BE-15665.1.1: 417 ± 31 BP, 1427-1620 AD, cal. 2 sigma); Hochmittelalter (Grab 6: BE-18808.1.1: 1058 ± 24 BP, 898-1027 AD, cal. 2 sigma; BE-18809.1.1: 1110 ± 24 BP, 890-992 AD, cal. 2 sigma; Grab 11: BE-20013.1.1: 1087 ± 27 BP, 893-1019 AD, cal. 2 sigma; BE-20014.1.1: 1135 ± 27 BP, 776-991 AD, cal. 2 sigma); dendrochronologisch: Nach 1432; nach 1446; nach 1460; nach 1461; nach 1464 n. Chr. AD GR, R. Sele.